Wandern auf Madeira

In all den Jahren auf der Atlantikinsel Madeira war ich oft alleine oder auch mit Besuch aus der Heimat auf den Wanderwegen unterwegs, doch so intensiv wie in den letzten Monaten war es noch nie. Vielleicht ist es die Tatsache, dass man bei weniger Touristen auf der Insel weniger Arbeit hat, oder auch die tatsache, dass man vor einem möglichen nächsten Lockdown aufgrund der Corona Pandemie seine Freiheit noch einmal richtig geniessen will. Und das geht nirgends so gut, wie auf den Wanderwegen der Insel. Zudem ist man dort in den meisten Fällen auch ziemlich alleine unterwegs, so dass das Abstandhalten überhaupt kein Problem darstellt. 

Wandern auf Madeira ist im Vergleich zu einer Wanderung in den Alpen oder Mittelgebirgen Europas anders. Während man dort meist auf einem Rundweg zunächst bergauf und nach einer Rast auf einer Almhütte meist auch wieder bergab läuft, haben Wanderungen auf Madeira einen anderen Charkter. Zumindest, wenn man eine der unzähligen Levada-Wanderungen unternimmt. 

Levadas sind Wasserkanäle, die den trockeneren Teil der Insel mit Wasser aus der Mitte und dem feuchten Norden der Insel versorgt und vor allem für die landwirtschaft gedacht ist. Von 1461 bis 1966 wurden bisher rund 2000km dieser Kanäle in den Bergen Madeiras verbaut. Zu Beginn waren es vor allem die Mauren, die im Auftrag von König Johann II. die Wasserversorgung auf der Insel erbauten. In teilweise schwindelerregenden Höhen arbeiteten sie sich entlang der Steilhänge und auch durch Berge in Form von Tunneln hindurch, um die Terrassenfelder mit Wasser zu versorgen. Noch heute werden die Levadas genutzt und so ist es nicht verwunderlich, dass noch im Jahr 1966 die bisher letzte und modernste Levada erbaut wurde. Alle Levadas haben gemein, dass sie mit nur minimalem Gefälle entlang der Hänge verlaufen und neben jedem Kanal auch ein Weg zu finden ist, der für die Arbeiter gedacht war, die die Levadas warten und dafür sorgen, dass sie nicht verstopfen. Eben diese Wege hat sich nun in den letzten Hundert Jahren die Tourismusindustrie zu Nutzen gemacht und daraus traumhafte Wanderungen gekennzeichnet. 

Es gibt leichte Levadas und schwierigere Levadas. Die leichten Levada-Wanderungen verlaufen meist entlang von Feldern und oberhalb von Ortschaften. Sie sind gut gesichert und auch für ungeübte Wanderer und Kinder problemlos zu bewältigen. Die schönsten Beispiele hierfür sind die Levada Referta oberhalb von Faial mit herrlichem Blick auf den Adlerfelsen bei Porto da Cruz und die Levada dos Maroços oberhalb von Machico im Osten der Insel. 

Die von der Flora her abwechslungsreichste einfache Levada ist sicherlich die Levada do Norte oberhalb von Serra de Agua am Encumeada Pass, dessen Bergmassive man von keinem anderen Ort so gut sehen kann, wie von dieser Wanderung. Selbst mit Kinderwagen begehbar ist die Levada dos Balcoes. Sie startet an der Forellenzuchtstation Ribeiro Frio und endet nach rund 45 Minuten einfachem Weg an dem gleichnamigen Aussichtspunkt mit grandioser Aussicht auf die höchsten Berge der Insel. All diese Wanderungen haben keinerlei Steigung und birgen keinerlei Gefahren jeglicher Art. 

Die mittelschweren Levada-Wanderungen sind meist doppelt so lang wie die einfachen Wanderungen und birgen Gefahren, die für manche Wanderer in der tat Gefahren darstellen, für andere jedoch nicht. Deshalb ist es immer schrierig Tipps an Touristen weiterzugeben, wenn man deren Fähigkeiten nicht kennt. Denn auch wenn der Gegenüber zunächst topfit und austrainiert erscheint, so kann die ein oder andere Stelle einer Levada auch für diese Person zu einem Problem werden. Dies liegt nicht an konditionellen Voraussetzungen. Vielmehr ist es so, dass es bei vielen Levadas Tunnel zu durchqueren gilt. Diese sind oft sehr eng, feucht, niedrig und auch sehr lang. Eine gut funktionierende Taschenlampe sind dabei ebenso eine Voraussetzung, wie die Tatsache, dass man nicht unter  Klaustrophobie leiden sollte.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das seitliche Gefälle bei vielen Levada-Wanderungen. Da alle Levadas am Hang entlang verlaufen, geht es auf einer Seite mal mehr und mal weniger bergab. Meist sind diese Stellen durch Geländer oder Seile gesichert, doch an vielen Stellen, gerade auf weniger begangenen Wegen, trennt den Wanderer Nichts vom teilweise bis zu 200m tiefen Abgrund. Schon relativ oft kam es in den vergangenen Jahren zu Unfällen, bei denen Wanderer sich überschätzten oder auch aus Leichtsinn abstürzten und zu Tode kamen. Alleine in diesem Jahr gab es bisher mehr Tote auf Levada-Wanderungen, als durch Corona. Vier Menschen sind bisher in den Bergen Madeiras abgestürzt, an Corona verstarben bisher zwei Personen. Ob man Probleme mit der Höhe hat, weiss nicht gleich jeder Besucher Madeiras, da er vielleicht aus dem Flachland kommt und noch nie vor dieser Frage stand. Ein guter Test ist in diesem Fall der Besuch des Skywalks am Cabo Girao oberhalb von Camara de Lobos. In 580m Höhe kann man hier auf Glas über den Abgrund treten und die atemberaubende Aussicht auf Funchal und hinunter zum Meer geniessen. Wer hier Probleme hat, könnte auch auf der ein oder anderen Levada vor Angst erstarren. 

Die meistgelaufenen Lavadas sind ohne Zweifel diejenigen, die man bei den Reiseveranstaltern auch im Ausflugsprogramm finden kann. Das ist an erster Stelle die Levada das 25 Fontes, oder auch Rabaçal genannt. Die Wanderung beginnt an einem Forsthaus im von der UNESCO als Weltnaturerbe geschützten Teil der Insel auf dem Hochplateau Paul do Serra. Von einem Parkplatz direkt an der Strasse ER110 läuft man zunächst rund 30 Minuten auf einer kleinen Strasse hinab zum Forsthaus. Wer sich diesen zusätzlichen Weg sparen will, der kann auch auf einen Shuttle Bus zurückgreifen, der täglich mehrfach auf und ab fährt. Dank dieses Busses kann jeder, der nicht so gute Kondition hat zumindest die kurze Wanderung vom Forsthaus zum Risco Wasserfall unternehmen. Wer den einmaligen Lorbeerwald und die grandiose Natur des Zentrums der Insel noch weiter geniessen will, der muss unterwegs abbiegen und etwas unterhalb des Weges zum Wasserfall der Levada das 25 Fontes folgen. Rund 2 Stunden sind es von hier bis zu den namensgebenden 25 Quellen. Je nach Wasserstand handelt es sich dabei weniger um Quellen, sondern eher um sehr viele kleinere Wasserfälle, die in einem kleinen Teich enden. F¨ru viele ist dies die schönste Levada-Wanderung der Insel. Wer jedoch wenige Menschen auf einer Wanderung sehen will, der sollte eine andere Route nehmen. Sie ist nun einmal auch die meistgelaufene. Selbst in Corona-Zeiten kommen einem relativ viele Personen entgegen. 

Mir persönlich gefallen andere Levada-Wanderungen besser. Queimadas bzw. die Levada do Caldeirao Verde liegt oberhalb von Santana auf der Nordseite der höchsten Berge Madeiras. Dort, im Regenwald der Insel, ist die Vegetation am üppigsten und die Levada dank einiger alter Baumriesen, meterhoher Farne und einiger Tunnel am abwechlungsreichsten. Wer 5 Stunden problemlos laufen kann, der sollte die von den Höhenmetern her zu vernachlässigende Strecke auf sich nehmen und vielleicht sogar im "Grünen Kessel" ein erfrischendes Bad nehmen. An Tagen, an denen die Nebelschwaden in den Bäumen hängen und nur gelegentlich die Sonne den Blick auf die Ortschaften rund um Santana frei gibt, machen die Wanderung bei Queimadas zu einem mystischen und ohne Zweifel einmaligen Erlebnis, das man so auf der Welt nirgends findet.  

Queimadas ist ein Zauberwald mit moosbehangenen Bäumen, Wasserfällen und vielen kleinen Fischen in der langsam neben einem fliessenden Levada. Schlechtes Wetter gibt es hier nicht. Ich finde die Wanderung bei Nebel und leichtem Nieselregen sogar besser, als bei purem Sonnenschein. Nur so kommt die Magie dieses Ortes richtig zur Geltung. 

Das gilt für viele Wanderungen auf der Nordseite Madeiras. Während es im Süden und Westen eher sonnig ist, kann man im Norden und Osten fast immer auch mit Niederschlag und Wind rechnen. Gut ausgerüstet sollte man sich aber dennoch bei jedem Wetter auf den Weg machen, denn Levada-Wanderungen haben immer ihren Reiz. 

Ribeiro Frio ist nicht nur eine Fischzucht unterhalb des Poiso Passes, sondern auch der Startpunkt zur  berühmten Wanderung Ribeiro Frio. Diese führt über 12km vom Poiso Pass bis zum Portela Pass entlang der Levada. 10km geht es entlang des Hanges mit herrlichen Ausblicken nach Norden auf den Adlerfelsen und die Ortschaften Faial und Porto da Cruz. Dann geht es über 1km steil auf Treppen abwärts zum Portela Pass, wo man sich mit einem der besten Poncha (Nationalgetränk Madeiras) der Insel dann wieder stärken kann. Dazwischen erlebt man Madeiras Natur pur mit endemischen Pflanzen und kleinen Tunneln.

Weniger überlaufen sind unbekanntere Wanderungen wie die entlang der Levada do Rei oberhalb von Sao Jorge oder die Levada de Janela oberhalb von Porto Moniz ganz im Westen der Insel. Auch auf diesen Wanderungen erlebt man das volle Programm einer Levada-Wanderung mit unglaublicher Pflanzenvielfalt, kleinen Tunneln, Wasserfällen und gelegentlich schwindelerregenden Abgründen. Hier jedoch sind weit weniger Menschen unterwegs. 

 

Einige wenige Wanderungen auf Madeira haben nichts mit einer Levada zu tun. Das sind vor allem die Wanderungen in der Gipfelregion und ganz im Osten am Cabo Sao Lourenco. Hier ist in den meisten Fällen mehr Kondition und auch etwas Vorkenntnis im hochalpinen Raum notwendig, um die Wege problemlos begehen zu können. Gute Wanderschuhe sind in diesen Fällen Grundvoraussetzung. 

Die Königsdisziplin ist die Wanderung vom Pico Areiro zum Pico Ruivo. In einer Höhe von rund 1800m geht es dabei über 12km und rund 700 Höhenmeter immer schön auf und ab vom dritthöchsten über den zweithöchsten bis hin zum höchsten Gipfel des Archipels. Schwindelfreiheit und gutes Wetter sind bei dieser schwierigsten aller Wanderungen auf Madeira Voraussetzung. Wer beides hat, erlebt eine Landschaft und Aussichten, die auf der Welt ihres Gleichen suchen.

Wer nicht die Kondition für die komplette Strecke hat, der kommt auch von hinten auf den Pico Ruivo. In diesem Fall stellt man seinen Mietwagen am Parkplatz Achada do Teixeira ab und läuft über 6km in rund 2 Stunden von 1592 auf 1862m die letzten 270 Höhenmeter nach Oben. Sieht man einmal von den zahlreichen unbewirtschafteten Forsthäusern auf der Insel ab, findet man auf diesem Weg kurz vor dem Gipfel auch die einzige richtige Berghütte Madeiras. In der Berghütte Pico Ruivo kann man sich nach gelungenem Aufstieg erfrischen oder seinen Proviant auffüllen, sollte man von hieraus weiter wollen an den Encumeada Pass. In diesem Fall stehen einem 12 weitere sehr anstrengende Kilometer bevor. Und genau dort liegt für mich der schönste Teil der Insel. Hier hat man die Wahl zwischen recht einfachen Levada-Wanderungen und einigen Wegen über die Felder und vorbei an den ältesten Bäumen der Insel. Einige dieser Lorbeerbäume sind über 200 Jahre alt und haben so manchen Passatnebel hier oben erlebt. Wenn man Glück hat, ziehen die Wolken von Norden her um die Mittagszeit erst auf und man kann das atemberaubende Schauspiel miterleben, wie sich so ganz langsam der Nebel über die Weidefelder rund um einen alten Kratersee legt. In dieser Gegend zu Wandern ist für mich die schönste Erfahrung, die man auf Madeira machen kann. Doch Vorsicht vor den hier grasenden Kühen :)